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CRU I S E R A P R I L 2018
TITELTHEMA
FUSSBALL
Benjamin Kololli war nach dem Match vol-
ler Emotionen und hatte dann direkt ein
Mikrofon vor der Nase und wurde zu die-
sem ema befragt. Mich selbst hat das
Statement des Fussballers nicht getroen,
denn ich weiss, wie emotional ein Spiel sein
kann. Ich war seither zwei Mal Schiedsrich-
ter in einem Match mit besagtem Fussballer
und das lief wie immer. Ich gewichte diese
Aussage wirklich nicht allzu stark.
Durch dein Outing stehst du nun von allen
Seiten unter grosser Beobachtung: Ist das
nicht ein enormer Druck, den du dadurch
aufgebaut hast?
Den haben wir ja bei jedem Spiel und das
hat sich nach dem Outing nicht geändert.
Vielleicht schaut der eine oder andere etwas
genauer hin bei mir als Person, aber meine
Kompetenz ist ja nach wie vor dieselbe.
Du bist Schiedsrichter, aber auch Lehrer und
Politiker. In den Medien wurde der Fokus auf
deine Schiedsrichtertätigkeit gelegt, wie
wurde das Outing aber im Umfeld als Lehrer
aufgenommen?
Auch hier: Die Schüler haben reagiert, und
zwar positiv. Mir ist einmal mehr aufgefallen,
dass Kinder grundsätzlich nichts gegen Ho-
mosexualität haben – das ändert sich dann
erst mit der Sozialisation, wenn quasi «von
aussen» entsprechende Einüsse kommen.
In den Kinos läuft nun «Mario». Der Schweizer
Film über einen schwulen Fussballer von
Marcel Gisler. Hast du den Film schon gese-
hen? Wenn ja, was löst dieser Film bei dir aus?
Ich habe den Film nun bestimmt schon
sechsmal gesehen und ich habe mich auch
intensiv damit auseinandergesetzt – ich war
ja auch auf vielen Podiumsdiskussionen
rund um den Film. Er zeigt Momente, die
ich selbst auch erlebt habe. Doppelleben,
sich verstecken, nicht zu sich stehen kön-
nen, verbotene Liebe, die doch eigentlich
gar nicht verboten sein sollte… Ich konnte
mich mit vielen Filmszenen identizieren
und anderen – auch ausserhalb der Fuss-
ballwelt – wird es genauso gehen.
Warum ist Sexualität im Männerfussball
eigentlich so ein Thema?
Dieses ema ist grundsätzlich bei Mann-
schaftssportarten ein spezielles. Vielfach
sind es einfach Ängste, die damit verbun-
den sind, vor allem wenn es um Homosexu-
alität geht. Die Angst davor, gemobbt und
damit ausgegrenzt zu werden, ist eektiv
nach wie vor stark vorhanden.
Fussballer wirken in den Interviews oft ein
bisschen – entschuldige bitte die Pauschali-
daraus gemacht. Er zeigt sich mit seinem
Partner. Den Schritt an die Öffentlichkeit hat
er sich lange überlegt und ihn dann konse-
quent verfolgt.» Offenbar war deine Homo-
sexualität ein offenes Geheimnis: Warum hast
du dich dennoch letztendlich öffentlich
geoutet? Und vor einem Millionenpublikum?
Es gab im Vorfeld einige Medien und Jour-
nalisten, denen meine Homosexualität be-
kannt war. Ich hatte aber das Gefühl, dass –
wenn ich diesen Schritt öentlich machen
würde – ich eine Vorbildfunktion wahrneh-
men könne. Gegenüber Jugendlichen, aber
auch gegenüber Erwachsenen, die selbst
noch damit hadern. Ich wollte damit zeigen,
dass ich auch nach einem Coming-out noch
respektiert und akzeptiert werde. Ich per-
sönlich nde das ema Toleranz und Ak-
zeptanz sehr wichtig. Letztendlich ist die
Botschaft: Ich werde auch nach diesem
Schritt nach wie vor als Lehrer, Gemeinde-
rat, Schiedsrichter und Mensch akzeptiert.
Nun sind einige Monate vergangen seither –
wie waren die Reaktionen?
Es gab unglaublich viele Reaktionen, auf al-
len Kanälen und sogar per Briefpost. Diese
Rückmeldungen waren durchweg positiv.
Manche fragten, ob ich denn noch Spiellei-
ter im Fussball sein könne, da ich im ent-
sprechenden DOK-Film sehr oen über
mich erzählte. Ich wurde auch auf dem
Platz diesbezüglich angesprochen, auch
hier entstanden manchmal Gespräche, die
letztendlich positiv endeten.
Die Ringier Medien sind voll des Lobes für
dein Outing. «Blick» konnte sich kaum mehr
beruhigen und machte dich zum grossen
Thema. Das provozierte auch Reaktionen.
Lausanne-Spieler Benjamin Kololli (25) sagt
nach einem Spiel gegen Lugano: «Das ist
seine Meinung, seine Wahl. Wir leben in einer
Welt, in der alles passieren kann. Wir haben
sein Outing innerhalb des Teams besprochen.
(...) Hätte sich ein Spieler geoutet, wäre es
negativer aufgefasst worden. Es wäre schwe-
rer zu verdauen gewesen.» Auf die Frage,
ob es bei Lausanne auch Homosexuelle gibt,
meint er: «Ich hoffe nicht. Aber möglich ist
es. Wenn es so wäre, sollte der Betreffende
es lieber für sich behalten.» Wie stehst du zu
dieser Aussage?
sierung – dümmlich. Kann es sein, dass das
Niveau der Fussballer einfach generell etwas
tief ist und es daher keinen Platz hat für eine
Auseinandersetzung mit dem Thema «Homo-
sexualität»?
Es gibt durchaus auch Spieler, die sehr intel-
ligent sind und bei manchen liegt halt der
Fokus beinahe ausschliesslich auf dem
Fussballspiel. Ich würde das daher nicht
verallgemeinern und sagen, dass alle Fuss-
baller dumm sind. Ich habe als Schiedsrich-
ter und als Spieler sehr viele verschiedene
«Fussballer» kennen gelernt und würde da-
her diese Aussage nicht unterschreiben. Sie
haben halt einfach oft andere Interessen als
«Homosexualität» und daher fehlt auch eine
aktive Auseinandersetzung mit dem ema.
Wie vermutet ist ein «Massenouting» aus-
geblieben, nach dir hat sich nun kein anderer
Spieler und kein anderer Schiedsrichter im
Fussball mehr geoutet. Bist du enttäuscht
darüber?
Ich hatte diesbezüglich keine Erwartungen.
Es wäre schön, wenn vielleicht noch jemand
sonst den Mut aufbringen würde und nach-
ziehen könnte. Ich selbst kann nur sagen,
dass ich es jederzeit wieder machen würde.
1991 hat der deutsche Filmemacher in
einer TV Sendung viele Prominente zwangs-
geoutet – er nannte die Namen von allen
schwulen Kollegen. Wäre das auch eine Stra-
tegie, um die starren Strukturen im Männer-
fussball aufzubrechend?
Ich denke, ein Massenouting würde nicht
viel bringen. Wenn ich jemanden kennen
würde, von dem ich es wüsste, würde ich es
dieser Person selbst überlassen.
PASCAL ERLACHNER
Pascal Erlachner ist 38 Jahre alt, wohnt in
Wangen und ist dort Gemeinderat und Sport-
lehrer der Sekundarstufe I. Sein Outing als
schwuler Schiedsrichter war im Dezember 2017
in allen Medien grosses Thema, unter anderem
auch im DOK-Film von SRF. Privat ist er zudem
als Pilot unterwegs, macht gerne Sport und
möchte sich künftig noch vermehrt für Toleranz
und Respekt in der Gesellschaft einsetzen.
«Mir ist einmal mehr aufgefallen,
dass Kinder grundsätzlich nichts
gegen Homosexualität haben –
das ändert sich dann erst mit der
Sozialisation.»