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Leseprobe

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Eine bleierne Hitze lag über dem Flughafen Wien-Schwechat. Man hatte das Gefühl, dass sich die Flugzeugturbinen bei diesen hohen Temperaturen nur schwerfällig drehten.»Was für eine Affenhitze! 40 Grad im Schatten!«, stöhnte Fliege Lotte, die träge und gereizt auf dem Gepäckwagen saß, der gerade zur Beladung eines Flugzeuges unterwegs war. Nicht einmal der Fahrt-wind brachte Lotte die ersehnte Abkühlung. Ihre Flügel klebten feucht an ihrem Körper, und ihre Laune war genauso schlecht wie die des Fahrers, der missmutig murmelnd am Steuer saß.Ruckelnd und zuckelnd setzte der Gepäckwagen seine Fahrt fort, bis er vor dem Flugzeug halt machte. Mit geschultem Auge erkannte Fliege Lotte das Langstreckenugzeug des Typs Boeing 777.

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»Ah, der Flieger wird mit Essen beladen. Wieder rechtzeitig geschafft! Hoffentlich gibt es heute nicht wieder so eine Pampe wie das letzte Mal. Da habe ich ja tagelang gefurzt wie ein Elch«, dachte Lotte, schüttelte ihre Flügel und brummte zum hinteren Eingang des Flugzeuges. Wie erwartet, wurde der Flieger mit Verpegung für die Passagiere beladen. Freudig erkannte Lotte den Steward Hugo. Sie wusste, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis er etwas fallen lassen würde, denn Hugo war nicht nur für sein sonniges Gemüt, sondern auch für seine Tollpatschigkeit bekannt.

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Und so passierte es wieder. Schon nach wenigen Minuten war ein lautes Krachen zu hören und Hugo rief erschrocken: »Heidelbeere, Mistkäfer! Nicht schon wieder!« Ein Lächeln lag auf Fliege Lottes kleinem Gesicht. Genüsslich beobachtete sie, wie sich die dicküssige Béchamelsauce langsam auf dem Boden des Flugzeugs ausbreitete. Mit einem Satz landete Lotte neben einem riesigen Batzen Sauce, steckte ihren Rüssel hinein und ng an, ihn genuss voll zu verspeisen.Schmatzend beobachtete Lotte, wie die ersten Passagiere einstiegen, von den Flugbegleitern freundlich begrüßt und an ihre Plätze verwiesen wurden. Jetzt wäre für die kleine Fliege der Zeitpunkt gekommen, sich wieder auf den Weg nach draußen zu machen. Doch es klebte noch etwas von der herrlichen Sauce an der Wand, die sich Lotte nicht entgehen lassen wollte. Gierig ng sie wieder an zu schlürfen. Dabei merkte sie zunächst nicht, wie ihre Augen immer träger und träger wurden. Das Gemurmel der Passagiere hörte sie nur noch aus

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weiter Ferne und ihr kleiner, satter Körper rutschte langsam an der Wand hinab. Lotte versank in einen tiefen, traumlosen Schlaf. »Bitte schnallen Sie sich an und stellen Sie die Lehne Ihres Sitzes aufrecht!«, dröhnte es plötzlich durch die Lautsprecher. Da fuhr Fliege Lotte panisch hoch, riss ihre Augen auf, machte einen Satz in die Luft und schlug sich dabei ihren Kopf an der Flugzeugdecke so heftig an, dass sie kurz Sterne sah und benommen auf der Schulter einer Flugbegleiterin landete. An-gewidert schlug diese nach der Fliege und Lotte

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purzelte auf die glänzende Glatze eines Passagiers. Auf dem haarlosen Kopf gelandet, starrte Fliege Lotte entsetzt aus dem Fenster und erkannte, dass sie gerade den Flughafen Wien-Schwechat unter sich ließen. Sie sah nichts als blauen Himmel und weit unten die Häuser, Straßen, Wiesen und Wälder immer kleiner und kleiner werden. Nun war ihr klar, dass sie sich auf eine Reise ins Ungewisse begab. Nach einem kurzen Schock beruhigte sich Lotte. Sie ng an, sich sorgfältig ihre Flügel zu putzen, und lauschte dem Summen der Motoren.